Also hinsichtlich der Zugänglichkeitsprobleme geht es da recht
heftig zu in der mailing-Liste und da gibt es ja spezielle
Arbeitsgruppen und kompetente Leute (darunter wohl auch
Nutzer von vorlese-browsern) beim W3C, die teils recht
heftig auf die ‘HTML5’-Arbeitsgruppe einreden.
Und was die fabrizieren, ist oft auch nicht absichtlich bösartig,
man bekommt nur den Eindruck, schon wegen des schroffen
Tones und der ausgefeilten Rhetorik, mit der die Argumente
immer gerade so gedreht werden, daß man das ja auch schon
jahrelang laufende Drama nicht noch wenden muß.
Es ist nicht das W3C selbst, was da Probleme mit der
Zugänglichkeit hat. Die ‘HTML5’-Arbeitsgruppe besteht ja zu
einem guten Teil aus den etablierten browser-Anbietern, die
die Spezifikation schon eine längere Zeit anderswo vorbereitet
hatten und dann damit doch noch irgendwie beim 'W3C’
untergekommen sind. Der Editor des Arbeitsentwurfes arbeitet
derzeit für Google, die auch andere Interessen haben als die
Autoren, die da insgesamt nicht besonders vertreten sind und
sich gegen diesen Block auch nicht durchsetzen können.
Die Arbeitsgruppen, die sich mit Zugänglichkeit beschäftigen,
können schon eher Druck machen, und da verhärten sich die
Fronten immer wieder, wohl bis dann irgendwann irgendwelche
faulen Kompromissen rausgedrückt werden, weil man ja
irgendwann auch mal fertig werden will.
Bei HTML ist die Situation wohl auch deswegen so
desillusionierend, weil eben die alten, noch auf mosaic
basierenden browser wie netscape und der MSIE es immer nur
’gut’ mit den Leuten gemeint haben, die die Seiten angucken
sollen. Wenn also mosaic und nachfolgende browser einfach
Fehler angezeigt hätten statt sie zu vertuschen, hätten mehr
Autoren darauf geachtet, Fehler zu korrigieren. Gerade auch
netscape hatte ja schon sehr früh gleich eine Editor mit
eingebaut, wäre also naheliegend gewesen, zumindest die
Fehler zusätzlich anzuzeigen, wie das etwa Amaya gut
hinbekommt. Nun ja, dann kam dann über das fehlerhafte HTML
noch die CSS-Soße drüber, wo anfangs der MSIE ja ganz
vielversprechend war, sich dann aber, auch wohl weil man da
die Entwicklung über Jahre eingestellt hatte, zu einer Plage mit
seinen vielen Fehlern entwickelt hat.
Da hat man nun eben nach einer Untersuchung von Google im
denen zugänglichen Teil des Netzes zu über 90% fehlerhafte
Dokumente, die von den browsern irgendwie stillschweigend
korrigiert werden, dazu teils recht fehlerhaft mit CSS dekoriert
werden, inklusive der improvisierten Fehlerkorrektur dazwischen,
die für HTML4 gar nicht definiert ist (für XHTML schon bei groben
Syntaxfehlern).
‘HTML5’ legt jetzt teils byte-weise fest, wie das fehlerhafte Zeug
zu interpretieren ist, wie man daraus gegebenenfalls ein DOM
eindeutig bastelt und darauf dann letztlich CSS und Skripte
eindeutig anwenden kann. Das bläht natürlich eine Spezifikation
bis zur Unverständlichkeit auf mit Zeug was komplett
uninteressant für Autoren ist, die ihre Fehler lieber korrigieren,
statt sie zum Prinzip zu machen.
Fakt ist aber auch, daß browser wie Opera und die Geckos von
Mozilla und wohl auch KHTML/WebKit Probleme hatten, weil
viele Autoren glaubten, die Fehlerkorrektur des ehemals häufig
verwendeten MSIE sei irgendwie definiert, genau wie microsoft
jahrelang Probleme damit hatte, daß die Leute glaubten, die
Fehlerkorrektur von netscape sei maßgeblich, weil der sowieso
von 90% der Nutzer verwendet wurde. So haben die enorme
Arbeitskraft darauf verschwendet, um Datenmüll von Autoren
möglichst genau so darzustellen, wie der MSIE, der sich bemüht,
das ähnlich darzustellen wie der alte netscape (das aber nie
hinbekommen hat). Und das ist eben auch eine
Entwicklungsbremse für diese Anbieter, die deshalb in 'HTML5’
vorrangig festlegen wollen, wie der Datenmüll eindeutig zu
interpretieren ist. Und da fallen dann auch schon mal interessante
Dinge von ‘HTML4’ einfach unter den Tisch, weil man es bis heute
nicht geschafft hat, die entweder überhaupt zu implementieren
oder aber das von browsern mit größerem Marktanteil (also MSIE,
Mozilla/Geckos, Opera, Apple) durchgehend falsch implementiert
wurde. Kurzerhand wird da jetzt die falsch Implementierung zur
richtigen definiert ;o)
Vor allem darum geht es bei ‘HTML5’ - im Prinzip stellt das über
weite Teile dar, wie ein aktueller browser heute auch
HTML4-Datenmüll darstellen sollte und das ist teilweise eben
das, was in den browsern heute wirklich drinsteckt.
Jedenfalls geht es dabei überhaupt nicht darum, Autoren eine
reichhaltige und sinnvolle Auszeichnungssprache an die Hand zu
geben, mit der man Text nach dem Inhalt auszeichnen kann.
In der Hinsicht habe ich da mehrfach Anfragen an die
mailing-Liste der ‘HTML5’-Arbeitsgruppe gesendet, um das Format
selbst nachzubessern oder Lücken zu schließen (etwa fehlt der
Bereich zur Auszeichnung von Gedichten noch immer komplett),
aber die Arbeitsgruppe ist nur schwer oder gar nicht dazu zu
bewegen, systematisch vorzugehen und die Sprache endlich mal
zu einem vollwertigen Werkzeug weiterzuentwickeln, es ist alles
Flickschusterei.
Schon in den Design-Prinzipien
w3.org/TR/2007/WD-html-desig … -20071126/
heißt es ja, man wolle den eingetretenen Kuhpfaden folgen.
Neue Kontinente oder neue Welten wird man da natürlich nie
entdecken, noch kommt man dazu, mit Weitblick zu arbeiten,
weil man ja ständig den ganzen Kuhfladen ausweichen muß ;o)
Nunja, wieviele Autoren nun ignorant oder indifferent sind, kann
man so kaum feststellen, denn die browser haben es den
Ignoranten immer leicht gemacht, indifferent zu bleiben und
die Indifferenten zur Ignoranz zu verleiten. Genau wie eben diese
Druck besonders auf kleinere Anbieter von browsern ausgeübt
haben, irgendwie mit dieser Ignoranz und Indifferenz klar zu
kommen. Egal, wen man da beschuldigt, ganz zu Unrecht wird
das nicht sein …
Sollten irgendwann mal (vielleicht auch außerirdische?)
Archäologen auf die Überreste des internets stoßen, werden die
nur staunen können, wie so viele Ignoranten eine solch komplexe
Struktur betreiben konnten ;o) Aber es geht ja auch so viel im
Rauschen verloren. Wer weiß, wo wir wären, wenn das alles
wirklich funktionieren würde und alle an einem Seil zögen - und
nicht immer in ganz verschiedene Richtungen…